Nachgeschaut
Mehr Luft - Das Missverständnis Turbinenfelge

Während das Thema „Laufrichtungsbindung von Bremsscheiben“ recht anschaulich erläutert werden konnte, ist den angeregten Diskussionen in der Community zu entnehmen, dass das Thema „Turbinenform bei Felgen“ immer noch einige Fragen aufwirft. Es spalten sich zwei Lager. Das eine steht für die Meinung, dass Bremsluftzufuhr der Effekt ist, das andere für die bessere Abfuhr von Bremswärme.
Die Turbinenfelgen sollen an der Felgenaußenseite einen Unterdruck / Luftsog erzeugen, der dem Entweichen der warmen Luft aus den Felgeninneren entgegenkommt. Der Sog saugt die erwärmte Luft an und beschleunigt somit die Wärmeabgabe an die Außenluft was die Abfuhr der Bremswärme begünstigt.
Würde die Felge nun entgegen ihrer Schaufel/Turbinenform angebaut, entstünde kein Sog und somit auch keine Unterstützung der Wärmeabgabe. Die Turbinenfelge dient also deutlich der Abführung von warmer und nicht der Zuführung von kalter Luft an die Bremse. Allerdings immer nur dann, wenn sie sich auch in die richtige Richtung drehen und für die jeweilige Fahrzeugseite konzipiert sind.
Aber wie kommt es zu dem Missverständnis, das sich hartnäckig hält und oft mit vermeintlich, schlüssigen Argumenten vertreten wird?

Einer der Hauptgründe ist bei einer Entwicklung von BMW zu suchen. Dort wurde bei der alten Baureihe M5 3.6 E34 eine Felge verbaut, die über Luftschaufeln/Turbinenbleche verfügte. Diese „System I“ genannten Felgen waren tatsächlich so geformt und konstruiert, dass der Bremsanlage, bzw. dem Felgeninneren, Zusatzluft zugeführt wurde. Auf den Speichen der Felge waren Luftleitbleche verschraubt, die von einer äußeren Blende abgedeckt waren. Hier kamen zwei Gedanken zum Tragen. Zum einen wollten die Konstrukteure den Luftwiderstand der Felge gering halten, was sie durch die geschlossene Form der Felge erreichten. Zum anderen war Ihnen bewusst, dass die leistungsstarke Bremsanlage, durch die geschlossene Felgenform, Probleme mit der Abgabe der Bremswärme an die Außenluft haben würde. So kam es zu dem Kompromiss zwischen beiden Vorzügen. Durch die Konstruktion der M-Luftschaufel-Variante sollte die fehlende Möglichkeit der Bremswärmeabgabe, durch die vermehrte Zufuhr von Kühlluft, ausgeglichen werden. In diesem Fall waren die „Turbinenfelgen“ tatsächlich zur zusätzlichen Belüftung der Bremsanlage vorgesehen.

Als Weiterentwichlung des luftzuführenden „System I“ muss auch das BMW „System II“ genannt werden. Es handelt sich hierbei im Gegensatz zu dem luftzuführenden System I um eine Luft abführende Felge im Design eines Wurfsternes (Throwing Star), welches auf die 5-speichige M-Grundfelge aufgeschraubt wird und einfach gegen das System I austauschbar ist. Somit hat der Fahrer von BMW Modellen mit M-Felge die Wahl zwischen Kühlluft-Zufuhr oder -Abfuhr, ohne direkt die komplette Grundfelge tauschen zu müssen. Clever und ökonomisch gelöst!
Das ist einer der Gründe, warum sich heute noch die Geister spalten, wenn es um die Wirkungsweise der Turbinenform einer Felge geht.
Besonders im Fokus stehen hier natürlich auch die Felgen des Mercedes SLR, die bei Ihrer Präsentation mit ihren sehr prägnanten Luftschaufeln für Aufsehen gesorgt haben. Das nahezu einzigartige an diesen Felgen fällt erst bei genauerem Betrachten ins Auge – sie sind laufrichtungsgebunden und nur auf ihrer jeweiligen Fahrzeugseite sinnvoll. Anders als bei vielen (wenn nicht allen*) anderen Herstellern sind die SLR Felgen also radgebunden und es muss für jede Fahrzeugseite eine eigene, spezielle Gussform gefertigt werden. Sind auf Vorderachse und Hinterachse verschiedene Felgengrößen montiert, sind sogar vier verschiedene Gussformen nötig, um die laufrichtungsgebundenen Felgen herstellen zu können. Das macht nicht nur die Herstellung und letztendlich den Verkaufspreis extrem teuer, auch die Lagerhaltung und Ersatzteilbestellung ist wesentlich aufwändiger als bei Felgen, die aus einer einzigen Gussform kommen.

Andere Hersteller, wie zum Beispiel VW, begnügen sich bei der Herstellung von Turbinenfelgen nur mit einer Gussform (siehe Interlagos), was die Produktion zwar günstiger macht, aber dazu führt, dass eine Fahrzeugseite immer spiegelverkehrt montierte Turbinenfelgen aufweist. Gleiche Beobachtungen wurden auf dem Zubehör-Felgenmarkt gemacht. Selbst namhafte Felgenhersteller wie Lorinser, Oxygin, etc. bieten ihre Turbinenfelgen nur aus einer Gussform an, was immer zu einer einseitig, spiegelverkehrten Montage führt. Hier stellt sich natürlich die Frage nach dem Sinn und den Auswirkungen eines solchen Felgendesigns. Wenn die Turbinenfelgen ihrer Funktion nämlich effektiv nachkommen, läuft die Bremse einer Fahrzeugseite immer kühler als die andere, was vielleicht sogar zu unterschiedlichem Ansprechverhalten führen könnte. Aussagekräftige Tests hierzu konnten wir allerdings leider nicht finden.

Ob nun auf dem riesigen Felgenmarkt laufrichtungsgebundene Zubehörfelgen angeboten werden, konnte aufgrund der Vielzahl der Anbieter nicht erschöpfend geklärt werden. Jedenfalls ist eine deutliche Tendenz erkennbar, und die weist darauf hin, dass die meisten der Turbinenfelgen, ob als Originalfelge oder Zubehör, aus lediglich einer Gussform kommen, sprich: Immer eine spiegelverkehrt montierte Fahrzeugseite aufweisen.
(*Im Geschäftsbereich des Fahrzeugzubehörhandels waren, im begrenzten Rahmen der Recherche, nur Felgen zu finden, die keine Laufrichtungsbindung aufweisen. Hier wird offensichtlich überwiegend auf die Optik gesetzt und auf ein Preisangebot, das den Kunden lockt.)

Nutzen der Turbinenfelgen?!
Sicherlich werden Turbinenfelgen einen konstruktiven Nutzen haben, wenn es im Fahrzeugkonzept vorgesehen ist. Außer bei den zuvor genannten Fahrzeugen BMW M5 E34 und dem Mercedes SLR sind uns allerdings keine weiteren Fahrzeuge bekannt, die das Thema Turbinenfelge in physikalisch wirksamer Form aufgreifen. Luftführung und Bremsbelüftung sind entscheidende Bausteine der Fahrzeugkonstruktion, werden aber aus Kostengründen meist anders, wenn überhaupt gelöst. Betrachtet man z.B. die Felgen aktueller, in größerer Stückzahl gebauter Fahrzeugmodelle (wie z.B. den Opel Adam), sieht man eindeutig, dass die heutige Turbinenfelge leider nur noch als optische Aufwertung ohne technischen Nutzen zu sehen ist.
Fazit
Turbinenfelgen die nicht rad- oder zumindest fahrzeugseitig gebunden sind, kann man unsere Meinung nach also maximal als optisches Gimmick ohne ernstzunehmenden Effekt bezeichnen. Sollten diese Felgen aber doch einen messbaren (also Bremswärme abführenden) Nutzen haben, bleibt die Frage nach den Auswirkungen der einseitig besseren Be- oder Entlüftung der Bremse.
Um dieser Problematik generell aus dem Wege zu gehen, empfehlen wir allen Fahrern von „Turbinenfelgen“ sich beim Thema Bremsbelüftung nicht nur auf die vermeintliche Funktion solcher Felgen zu verlassen, sondern der Bremse bei sportlicher Fahrweise zusätzliche Luftzuführungen zu gönnen.

Kommentare
Kommentar von Frank Dellen am
Interessanter Beitrag. Ich hätte gerne noch so etwas gelesen wie:"Mit dem Turbinendesign war die SLR-Bremse bei Fahrversuchen auf der NS durchschnittlich 50° kühler" oder dergl. Aber solche Resultate werden nicht leicht zu finden sein.
Die Corvette C4 hatte laufrichtungsgebundene Turbinenräder, sogar in mindestens drei unterschiedlichen Designs - ob die aber ihren Zweck tatsächlich erfüllt haben, steht allerdings wieder auf einem anderen Blatt. Da steckt bestimmt mehr hinter, als nur ein paar Schaufeln zu integrieren. Zumindest war bei Chevrolet der Ansatz weniger halbherzig als bei den genannten VW- oder Opel-Felgen.
Kommentar von Chris am
Sehr schöner Artikel!